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Auf der Suche nach dem Schuldigen

Können Bäume Bausetzungsschäden auslösen?

Text: Georg Braun | Foto (Header): © Braun

In den letzten Jahren sind Baumsachverständige vermehrt mit dem Themenkomplex „Schäden an Gebäuden“ konfrontiert. Stehen in der Nähe von Gebäuden Bäume, vermuten andere Fachdisziplinen wie z.B. Architekten oder Geologen häufig einen unmittelbaren Einfluss dieser auf die Schadensbilder. Doch gibt es hier wirklich immer einen Zusammenhang und wenn ja, wie ist dieser einzuordnen?

Auszug aus:

der bauschaden
Ausgabe Juni / Juli 2023
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Geschädigte Gebäude zeigen oft vielfältige Rissbildungen, die durch ungleichförmige Setzungen des Baugrunds zu erklären sind. Direkt schadursächlich wird der Wasserbedarf von Bäumen oder der Einwuchs von Baumwurzeln in den Fundamentbereich angeführt und die Entnahme der Bäume gefordert, um den Schadprozess zu stoppen und um das schadhafte Bauwerk erfolgreich zu sanieren. Verschiedene Sanierungsverfahren sollen erst dann zum Einsatz kommen, wenn die auslösende Schadursache beseitigt ist. Andernfalls wird keine Gewährleistung übernommen. Dringen Baumwurzeln auf fremde Grundstücke ein und werden dort für Bauwerksschäden verantwortlich gemacht, sind im Zweifel Gerichte gefordert, zu prüfen, ob Schadensersatzansprüchen berechtigt stattgegeben werden muss oder diese als unberechtigt zurückzuweisen sind. Öffentlich bestellte und vereidigte Baumsachverständige werden dann aufgefordert, die Grundlagen für die gerichtliche Entscheidungshilfe zu liefern.

Der folgende Artikel soll den aktuellen Fach-und Sachstand aus baumsachverständiger Sicht wiedergeben und dazu auffordern, einseitige Betrachtungen der Interaktion zwischen Bauwerken und Bäumen zu vermeiden. Bauschäden sind komplex und lassen sich in der Regel nicht einer einzelnen Ursache zuordnen.

 

Baumwurzeln

Über zwei Drittel der Wurzelbiomasse von Bäumen befindet sich in der Regel in den oberen 50 cm des Bodens. Unterhalb von 1,50 m haben Wurzeln keine nennenswerte Bedeutung mehr. Für die Wasser- und Nährstoffaufnahme sind vor allem die ersten 30 cm des Erdreichs interessant, denn dort erfolgt der Wassereintrag durch Niederschlag und befindet sich der humose Oberboden, der die lebenswichtigen Nährstoffe enthält.

Die Aufnahme der Bäume von Nährstoffen erfolgt über Wurzelhaare und Fein(st)wurzeln. Durch ihre geringe Größe (Ø < 0,1 bis 0,5 cm) können diese Wurzeln nicht direkt schadursächlich sein, denn Fein- und Feinstwurzeln, die dem Boden Wasser entziehen, finden unter tief liegenden Fundamenten aufgrund von Sauerstoffmangel und Mangel an pflanzenverfügbarem Wasser keine geeigneten Lebensbedingungen und können dort nicht für vertikale Setzungen verantwortlich gemacht werden.

Tiefer liegende Wurzeln (Schwach-, Grob- und Starkwurzeln, Ø 0,5 bis > 5 cm) dienen hauptsächlich der stabilen Verankerung des Baumes im Boden oder zur Erschließung wasser-, luft- oder nährstoffführender Schichten. Die Ausbreitung von Wurzeln erfolgt auf tonigen Böden nur sehr begrenzt in die schlecht belüfteten und schlecht durchwurzelbaren Tonschichten. Hausdrainagen können aber aufgrund ihrer Durchfeuchtung und ihres Sauerstoffgehalts wie ein Wuchskorridor wirken und das Vorhandensein von Wurzeln im lebensfeindlichen Baugrund ermöglichen.

Mauern stellen für Wurzeln eine Wuchsbarriere dar. Intakte Mauern können von Wurzeln nicht aktiv durchwachsen werden. Treffen Wurzeln auf feste Hindernisse im Boden, weichen Wurzeln dem Widerstand in weichere Areale aus.

Sehr selten kann es infolge von Wurzelwachstum in Fundamente oder ins Mauerwerk zu Gebäudeschäden kommen. Nur bereits vorhandene Risse oder Hohlräume können dann durch das sekundäre Dickenwachstum (Vergrößerung des Durchmessers) von Stämmen, Wurzelanläufen und Wurzeln erweitert werden und einen passiven Druck auf Bauwerke ausüben, der Schäden zur Folge haben kann. Dies kann sich in Rissbildungen oder vertikaler Lageveränderung (Schiefstand) z.B. bei Mauern äußern und zu einer Verstärkung bereits vorhandener Schäden führen. Auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen stellt Wurzelwachstum in Leitungen und Kanäle dagegen ein bekanntes und leichter nachvollziehbares Problem dar.

Wasserentzug durch Baumwurzeln

Die Transpirationsrate (Anteil der Verdunstung über die Blattoberfläche) ist die Größe für den tatsächlichen Wasserentzug aus dem Boden. Dieser Sachverhalt ist sehr komplex und abhängig von Baumart, Baumdimension, Blattform, Standort, Exposition, Stellung zu Nachbarbäumen und vielem mehr. Diese Faktoren sind ebenso technisch äußerst aufwendig für den konkreten Baum zu ermitteln. Untersuchungen hierzu sind rar und kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Ein Nachweis bzw. Ausschluss des Zusammenhangs von Gebäudeschäden durch Wasserentzug eines einzelnen Baumes ist extrem aufwendig und schwer zu führen. Faktoren wie z. B. Bodenwassergehalt, Messungen des Setzungsverhaltens oder jahreszeitliche Veränderungen der Rissausprägungen sind zu ermitteln.

Baumwurzeln können tonige, bindige Böden zwar erheblich austrocknen, Schrumpfungen des Bodens zur Folge haben und eventuell zu Gebäudeschäden führen. Bauschäden sind aber komplex und können selten einer einzelnen Ursache zugeordnet werden. Mit- und hauptursächlich können beispielsweise die Anlage von Gräben für Versorgungsleitungen, falsch dimensioniertes Mauerwerk und/oder falsch dimensionierte Fundamente sowie bauliche Veränderungen im Umfeld sein.

Setzungen erfolgen auch witterungsbedingt ohne Einfluss von Vegetation. Ohne Vorhandensein von Bäumen kommt es zur Tiefenaustrocknung von Böden bis in mehrere Meter Tiefe mit der Folge von Schrumpfungsvorgängen im Bodengefüge. Gebäude selbst führen durch Bauwerksauflast auf bindigen Böden zu Schrumpfungen und Setzungen des Bodengefüges. Dieser Prozess kann Jahrzehnte dauern. Treten die Setzungen ungleichförmig auf, kommt es zu Schadbildern an Bauwerken.

Das Fällen von wasserentziehenden Bäumen, die für Setzungsschäden verantwortlich gemacht werden, kann zu einem gegenteiligen Effekt führen, da es durch das Quellen toniger Böden im ehemaligen Wurzelbereich zu Hebungen kommen kann, die wiederum gebäudeschädliche Auswirkungen haben können.

Bautechnische Belange (Gründung eines Gebäudes, Alterungsprozesse der Substanz), die Bauausführung (fachgerechte Herstellung) und Kennwerte der Bodenmechanik sind in eine gesamtheitliche Betrachtung zur Ursachensuche von Gebäudeschäden im Zusammenhang mit Bäumen einzubeziehen. Für eine erfolgreiche Gebäudesanierung sollten detailliertere Untersuchungen des Baugrunds (Bodenart, Bodenwassergehalt, Bodenkonsistenz) und ein Feinnivellement sowie Rissmonitoring des Gebäudes erfolgen.

Bei auftretenden Gebäuderissen ist zu unterscheiden, ob die Schäden durch vertikale Senkungen des Gebäudes (Ursache: unterschiedliches Setzungsverhalten in heterogen zusammengesetztem Baugrund bzw. unterschiedliche Fundamentgründungen) oder durch „Biegung“ der Außenmauern (Ursache: Austrocknung des Bodens durch Wasserentzug von Bäumen) verursacht werden. Die jahreszeitlich bedingten Schwankungen von Austrocknung und Wiederbewässerung korrespondieren dabei mit Hebung und Senkung eines Gebäudes.

 

Feststellen der Schadursache(n)

Die Interaktionen im Baum-Boden-Gebäude-System sind komplex, sehr variabel und unvorhersehbar. Um unberechtigte Schadensersatzansprüche auszuschließen oder berechtigten Forderungen stattzugeben, ist eine weitere Klärung der Schadursache baulicher Art zwingend notwendig.

Um eine sichere Beweisführung über die Ursache für einen Gebäudeschaden führen zu können, um zu ermitteln, welche Faktoren an der Schadensbildung beteiligt sind und um ein Gebäude erfolgreich zu sanieren, sind weitere Untersuchungen zielführend. Hierzu zählen Untersuchungen des Bodens/Baugrunds (Bodenart, Bodenwassergehalt, Bodenkonsistenz, Schrumpfungsverhalten, Wasserdurchlässigkeit), Untersuchungen am Baum (Ortung und Identifikation von Wurzeln), Untersuchungen am Gebäude (Historie, Verlauf der Schadensbildung, Monitoring von Senkungen und Hebungen des Gebäudes, jahreszeitliche Veränderungen der Rissausprägung, Untersuchung der Wände auf Neigungen, Ermittlung der Tiefe des Fundaments, Schätzung der Fundamentbelastung, Lokalisierung und Untersuchung des Zustands von Drainagen, Leitungen und Stützmauern). Mit dieser Vorgehensweise sollen falsche, nicht zielführende oder kontraproduktive Maßnahmen vermieden werden. Eine effektive Maßnahmenempfehlung soll das Gebäude langfristig stabilisieren.

 

Anlass und Inhalt eines Baumgutachtens

Rissbildungen an einem Wohngebäude waren Gegenstand eines Rechtstreits. Der ursächliche Zusammenhang von Gebäude- bzw. Risseschäden wurde durch Baumwurzeln vermutet. Zwei auf einem städtischen Grünstreifen befindlichen Platanen stehen in unmittelbarer Nähe zum Grundstück der Kläger. Es war Beweis zu erheben, ob die Baumwurzeln sich über das Grundstück der Kläger derart ausgebreitet hätten, dass nunmehr im Bereich der Isolierung einer Hausecke Wurzeln der Platanen eingewachsen seien und auf die Ecke des Gebäudes drückten. Als Folge seien erste Risse im Mauerwerk entstanden, und Feuchtigkeit dringe ein.

Im Zuge der Beweissicherung konnte durch das Anlegen einer Schürfgrube im fraglichen Bereich starkes Wurzelwachstum der Straßenbäume auf das klägerische Grundstück festgestellt werden (Bild 1 und 2).

Der Wurzelverlauf der streitgegenständlichen Bäume konnte somit nachvollzogen und nachvollziehbar dokumentiert werden.  Der Nachweis über die Schadwirkung der Baumwurzeln konnte dagegen nicht erbracht werden.

Die ledigliche Feststellung über das Vorhandensein von Wurzeln in Gebäudenähe oder am Gebäude ist zur Feststellung der Schadursache nicht geeignet.

Zwar haben manche Baumarten, wie z.B. Platane, das Potenzial in tonige Böden einzuwurzeln; ohne Rücksichtnahme auf weitere Einflussgrößen ist ein Ursachennachweis nach Meinung des Autors jedoch in höchstem Maße unzulässig.

Deshalb wurde zur Diagnose der tatsächlichen Schadursache der Rissbildungen am Gebäude ein Bausachverständiger hinzugezogen, um eine einseitige Betrachtung der Interaktion von Bäumen und Gebäude zu vermeiden. Zur möglichst zweifelfreien Klärung des Sachverhaltes wurde die Vorgehensweise im Ortstermin zwischen den Sachverständigen und den Prozessparteien abgestimmt und die Tiefe der Schürfgrube bis auf Höhe des Gebäudefundaments angelegt.

Weder der Verfasser als im Gerichtsverfahren hinzugezogener Baumsachverständiger noch der Bausachverständige konnten einen Zusammenhang zwischen Baumwurzeln und dem Schadbild feststellen. Starkes Wurzelwachstum auf das klägerische Grundstück war zwar feststellbar, das Vorhandensein von Wurzeln und/oder die Wurzelverläufe erklärten aber nicht die Rissbildungen am Gebäude. Folgende Indizien sprachen gegen einen Zusammenhang zwischen Baumwurzeln und Schadbild:

  • abnehmende Wurzeldichte nach unten zum Fundament hin
  • Wurzelwachstum unter das Fundament war nicht nachweisbar, ein anhebender Wurzeldruck konnte ausgeschlossen werden.
  • Wurzeln folgen in der Tiefe lediglich Belüftungskorridoren und Feuchtegradienten (Drainage).
  • Wurzeln werden durch Hindernisse (Mauern, Fundamente) umgelenkt.
  • Mit- oder Folgeursächlichkeit von Baumwurzeln aus baumsachverständiger Sicht war nicht gegeben.
  • Aus gebäudestatischer Hinsicht ist eine schädliche Hebungswirkung unter das Fundament gewachsener Wurzeln ausgeschlossen (Schlussfolgerung Bausachverständiger).
  • Hauptursache der festgestellten Rissbildung war der nachgebende Baugrund unter dem Fundament (Schlussfolgerung Bausachverständiger).
  • Rissbildungen auch in Bereichen ohne Baumwurzeln
  • Einfluss der Baumwurzeln auf eine Austrocknung des Bodens nicht nachweisbar.

Das Beispiel soll zeigen, dass selbst bei nachweislichem Wurzelwachstum in direkter Gebäudenähe ein schädlicher Ursachenzusammenhang nicht automatisch angenommen werden kann. Verallgemeinerungen oder Rückschlüsse von einem auf den anderen Fall sind jedoch nicht möglich.

Zur Person

Georg Braun, Arborist B.Sc ist vom Regierungspräsidium Stuttgart öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Verkehrssicherheit von Bäumen, Baumpflege und Baumschäden sowie Gehölzwertermittlung.

Kontakt
Internet: www.braun-arboristik.de
E-Mail: georg@braun-arboristik.de

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