Zur Beurteilung

Erkundung und Schutz

Das ist bei Arbeiten im Bestand bezüglich Asbest ab sofort zu beachten

Text: Hans-Peter Füg | Foto (Header): © Tsuboya – stock.adobe.com

In Gebäuden, die vor 1995 errichtet wurden, steckt häufig noch Asbest, das durch Instandsetzungs- oder Sanierungsarbeiten freigesetzt werden kann. Im Jahr 2019 wurde die hierfür gültigen Arbeitsschutzanforderungen der TRGS 519 überarbeitet. Kurz darauf ist im April 2020 die Leitlinie für die Asbesterkundung erschienen. Unser Autor hat für Sie zusammengefasst, welche Neuerungen sich dadurch ergeben und was es bei der Annahme von Aufträgen im Bestand deshalb zu beachten gilt.

Auszug aus:

der bauschaden
Ausgabe Juni / Juli 2020
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Die TRGS 519

Die TRGS 519 konkretisiert die Anforderungen der Gefahrstoffverordnung. Sie dient dem Schutz von Beschäftigten und anderen Personen, die bei Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten (ASIArbeiten) mit Asbest oder asbesthaltigen Materialien in Berührung kommen. Wird die TRGS 519 eingehalten, kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die Anforderungen der Gefahrstoffverordnung erfüllt sind. Sollte der Arbeitgeber eine andere Lösung wählen, „(…) muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen (…)“ [1].

Die Neuerungen der Technischen Regel

Die TRGS 519 wurde im Jahr 2014 eingeführt und im Oktober 2019 aufgrund fortschreitender Erkenntnisse bezüglich Asbestarbeiten und den sich daraus ergebenden Anforderungen geändert und ergänzt. Die wesentlichen Änderungen sind:

  • Es wurden Hilfen zu Gefährdungsbeurteilungen aufgenommen, die jeder Arbeitgeber für seine Mitarbeiter zu erstellen hat. Anhand der am Gebäude auszuführenden Tätigkeiten können Schutzmaßnahmen und Anforderungen an die personelle Qualifikation einer Tabelle der TRGS entnommen werden.
  • Ebenfalls wurden Vorgehensweisen zur Festlegung der Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten an asbesthaltigen Putzen, Spachtelmassen, Fliesenklebern oder anderen ehemals verwendeten bauchemischen Produkten mit vergleichbaren Asbestgehalten (im Folgenden PSF) aufgenommen.
  • Zur Beurteilung der PSF wurde eine Exposition-Risiko-Matrix entwickelt. Die Matrix umfasst diverse Tätigkeiten, Arbeitsverfahren und eine Risikozuordnung nach TRGS 910 [2].
  • Ferner wurden Qualifikationen für aufsichtführende Personen bei Anwendung anerkannter emissionsarmer Verfahren definiert [1], welche im Abschnitt „Qualifikation des Personals“ (dieses Artikels) erläutert werden.

Die Verwendung von Asbest in PSF stellte sich bei Freisetzung nach aktuellen Erkenntnissen als Gefahr für die Beteiligten heraus. Solche Baustoffe stellen eine große Herausforderung dar, wenn es darum geht, Asbest als deren Bestandteil zu erkennen, denn durch bloße Inaugenscheinnahme können diese nicht als asbestverdächtig erkannt und qualifiziert werden.

 

Wo steckt die Gefahr?

In Deutschland wurde im Rahmen der Übernahme der Asbestverordnung in die Chemikalien-Verbotsverordnung ein Verbot für das Inverkehrbringen und die Verwendung von Asbest zum 31.10.1993 erlassen. Auch wenn bereits vor diesem Stichtag Herstellungs- und Verwendungsverbote galten, muss die Möglichkeit von Asbest im Gebäude auch über den 31.10.1993 hinaus berücksichtigt werden. Dies ergibt sich aus der Annahme, dass die Verwendung von Restbeständen, Einbau von Lagerware, aber auch der Bezug aus Nachbarländern – gerade in grenznahen Gebieten – nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die EU erst 2005 einen vollständigen Ausstieg aus der Asbestverwendung beschlossen hat. Aus Sicht des Autors ergibt sich zur Risikominimierung die Notwendigkeit, über den Stichtag des 31.10.1993 hinaus zu blicken, wobei nach Jahrzehnten ohnehin selten ein exaktes Datum als Fixpunkt genannt werden kann.

In den alten Bundesländern wurden von 1950 bis 1985 etwa 4,4 Mio. Tonnen Asbest verarbeitet [3]. Seit 25 Jahren ist die Verwendung des Gebäudeschadstoffs in Deutschland jedoch verboten. Dennoch sind die „Anwesenheit“ sowie Berührungspunkte mit dem Schadstoff aktueller denn je. Nach wie vor kann davon ausgegangen werden, dass in 25 % aller Gebäude in Deutschland Asbest vorhanden ist und somit in diesen die Gefahr der Freisetzung von Asbestfasern besteht, sofern mit ASI-Arbeiten in die Bausubstanz eingegriffen
wird.

Bei Gebäuden, die ab 1995 errichtet wurden, ist die Gefahr von Asbest objektiv ausgeschlossen. Alle Gebäude, die vor 1995 errichtet wurden, fallen jedoch unter den Generalverdacht der Asbestbelastung. Selbst alte Gebäude, die vor der Verwendung von Asbest errichtet wurden, bleiben nicht ausgenommen, da diese in der Vergangenheit saniert oder renoviert wurden und somit anzunehmen ist, dass Asbest auch in diesen Objekten verbaut wurde.

Asbestfasern sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen, da sie hierfür zu fein und klein sind. Dadurch finden sie ohne entsprechende Schutzvorkehrungen problemlos den Weg in die Lunge, deren Gewebe sie reizen und wo sie langfristig zu Vernarbungen (Staublunge/Asbestose) und Lungenkrebs führen können. Obwohl die krebserzeugende Wirkung von Asbestfasern schon seit Jahrzehnten bekannt ist, sind für viele Baubeteiligte der Umgang mit Asbest und die damit zusammenhängenden Risiken nicht allgegenwärtig. Zwar gab es bereits 1940 erste Maßnahmen zur Vermeidung von Expositionen gegenüber Asbest [3]; diese waren jedoch lange nicht ausreichend und wurden infolge der Erkenntnisse und arbeitsmedizinischen Möglichkeiten weiterentwickelt und fortgeschrieben, zuletzt mit der TRGS 519.

Erschwerend kommt hinzu, dass Asbest im Rahmen von ASI-Arbeiten nicht nur in homogenen Bauteilen wie z. B. Faserzementplatten und -rohren, Fliesenklebern oder Putz zu finden ist, sondern auch in inhomogenen Untergründen wie z. B. Trockenbaukonstruktionen.

Homogene und inhomogene Bauteile werden nach der Beschaffenheit ihrer Materialien unterschieden. Bei homogenen Bauteilen oder Untergründen besteht jede Schicht aus nur einem Baustoff. Bei Inhomogenität sind die Schichten aus unterschiedlichen Baustoffen zusammengesetzt, hier beschränkt sich die Asbestbelastung z. B. auf den Bereich gespachtelter Plattenfugen. Folglich gilt es, bei einer Befundung und damit einhergehenden Beurteilung insbesondere inhomogene Bauteile zu berücksichtigen, denn gerade hier sind Sachverstand und ein hohes Maß an Erfahrung gefragt, wenngleich eine vollständige Sicherheit nicht erzielbar ist.

PSF wurden in der TRGS 519, Ausgabe 2019 thematisch in einer Gruppe zusammengefasst. Bei PSF ist eine inhomogene Anwendung grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn z. B. Teilflächen bearbeitet wurden (Nachputzarbeiten, Schlitze verfüllen) oder auch, wenn das Material selbst nicht homogen vermengt bzw. verarbeitet wurde. Bekannt ist, dass Asbestfasern, als deren Verwendung noch erlaubt war, händisch zur Verbesserung von Eigenschaften von Stoffen zugesetzt und in diese eingearbeitet wurden, z. B. in Estrich, Mörtel und Putze, Spachtelmassen und Fliesenkleber.

 

Erkundungspflicht

Der Gesetzgeber hat bis heute keine gesetzliche Pflicht für eine Untersuchung auf Asbest formuliert. Die jüngst erschienene Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an alten Gebäuden [4] führt die Verantwortungsbereiche und rechtlichen Verpflichtungen wie folgt auf:

  • Gefahrenvermeidung für Leben und Umwelt gemäß Bauordnungsrecht
  • Arbeitsschutz
  • Immissionsschutz
  • Einhaltung des Abfallrechts

Einer vorgeschriebenen Asbesterkundung bedarf es nicht, wenn das Gebäude nach dem 31.10.1993 erstellt wurde, wobei – wie zuvor ausgeführt – hier die Jahreszahl 1995 pragmatischer zu verwenden wäre. Ferner bedarf es auch keiner zwingenden Asbesterkundung, wenn keine baulichen Maßnahmen und Eingriffe in die Substanz erfolgen. Einer Asbesterkundung eines Gebäudes bedarf es auch dann nicht, wenn ein emissionsarmes Verfahren nach TRGS 519 unter Berücksichtigung der DGUV Information 201-012 Verfahren mit geringer Exposition gegenüber Asbest bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten eingesetzt oder wenn dem Generalverdacht Asbest uneingeschränkt gefolgt wird und damit alle Tätigkeiten entsprechend der Vorgabender TRGS 519 umsetzt werden.

Die Asbesterkundung durch Beprobung ist das Mittel der Wahl, wenn keine Maßnahmen nach TRGS 519 ergriffen und umgesetzt werden sollen. Letztlich bedarf es eines Nachweises, dass die auszuführenden Tätigkeiten keine Asbestfasern freisetzen können bzw. dass kein Asbest vorhanden ist. Eine zwingende Pflicht zur Erkundung ergibt sich somit weder für den Auftraggeber noch Auftragnehmer. Diesen steht offen, den Arbeitsschutz zu erfüllen, indem von einer Asbestbelastung ausgegangen und entsprechend der Vorgaben der TRGS 519 gehandelt wird.

Ein Blick in die TRGS 519 verdeutlicht insbesondere in den Abschnitten 5 bis 13, welche Anforderungen umzusetzen sind, z. B.

  • an die sicherheitstechnische Ausstattung,
  • Koordination und Organisation,
  • Hygienemaßnahmen,
  • Unterweisungen [1].

Eine Erkundung durch Befundung erscheint demgegenüber einfacher und zielführender – auch unter wirtschaftlichen Aspekten.

Je weitreichender die Schutzmaßnahmen, umso teurer die Gesamtleistung

Jeder Unternehmer steht nicht nur in der Verantwortung, die Arbeitssicherheit zu gewährleisten, sondern auch die dafür erforderlichen Aufwendungen betriebswirtschaftlich zu bewerten und in seiner Kalkulation einzubeziehen. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Pausenzeiten, z. B. beim Tragen von Atemschutz,  wird schnell klar, dass die Schutzmaßnahmen und die damit zusammenhängenden Entscheidungen zur Entsorgung der Stoffe erhebliche Auswirkungen auf die Kosten haben.

Da die Einhaltung der Sicherheit nicht individuell, sondern gesetzlich vorgegeben ist, wird jeder Arbeitgeber aus unternehmerischen Gesichtspunkten festlegen müssen, wie er die Sicherstellung des Arbeitsschutzes uneingeschränkt gewährleistet. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Mitarbeiter des Unternehmens, sondern auch auf Dritte, beispielsweise die Kunden selbst, Nutzer von Wohn- und Geschäftsräumen oder Einrichtungen, Passanten und Nachbarn sowie Tiere in der näheren Umgebung.

 

Verantwortlichkeiten des Auftragnehmers

Wird ein Unternehmen von einem Kunden, der die Leistungen des Unternehmens in Anspruch nehmen will, direkt kontaktiert, wird das Unternehmen unmittelbar Planer dieser Leistung. Die geplanten Leistungen sind – sofern es zum Auftrag kommt – nach den vertraglichen Bedingungen, den gesetzlichen Bestimmungen und nach den technischen Bestimmungen wie den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erbringen. Das ausführende Unternehmen hat dazu nach § 6 GefStoffV u. a. festzustellen, ob Beschäftigte bei ihren Tätigkeiten Asbeststaub ausgesetzt sind oder sein können. Diese gesetzliche Vorgabe ist nicht neu, sie ist bereits seit 2010 in Kraft. Die aktuell erschienene DGUV Vorschrift 38 Bauarbeiten, gültig seit dem 01.04.2020, fordert in § 6 Abs. 1 zudem unmissverständlich: „Vor Beginn von Bauarbeiten hat der Unternehmer dafür zu sorgen, dass ermittelt wird, ob im vorgesehenen Arbeitsbereich Anlagen vorhanden sind, durch die Personen gefährdet werden können“ [7].

Der Arbeitgeber hat gemäß der GefStoffV weiter zwingend Schutzmaßnahmen für den Umgang mit Asbest am Arbeitsplatz zu planen und für deren Umsetzung Sorge zu tragen. Dies gilt insbesondere für ASI-Arbeiten. Es ist jedoch zu betonen, dass diese Pflicht nicht erst dann zu erfüllen ist, wenn Asbest bestätigt ist, sondern dass die Pflicht generell gilt, das heißt, ein Generalverdacht auf Asbest ist ausreichend. Dieser ist bei einem Gebäude, das vor 1995 errichtet wurde, immer gegeben, sofern ihn Einzelerkundungen oder Schadstoffkataster nicht widerlegen. Die TRGS 519 konkretisiert hierbei „nur“ die allgemeinen Anforderungen der Gefahrstoffverordnung zum Schutz der Beschäftigten, aber auch Dritter. Bei ASI-Arbeiten in Verbindung mit Asbest erstreckt sich der Pflichtenkatalog für den Arbeitgeber auch darauf, einen Arbeitsplan aufzustellen. Unter anderem bedarf es der Überprüfung, dass nach Abschluss der Arbeiten keine Gefährdung mehr besteht. Es liegt auf der Hand, dass das nachfolgende Gewerk bestätigt haben will, dass nach Ausbau des Gefahrstoffs Asbest die Gefahr restlos eliminiert wurde. Zur Kontrolle sollte eine Freimessung erfolgen.

Eine Kooperation und ein Zusammenwirken unter den Bauschaffenden wurde in § 15 Abs. 2 GefStoffV ebenfalls geregelt: „Kann bei Tätigkeiten von Beschäftigten eines Arbeitgebers eine Gefährdung von Beschäftigten anderer Arbeitgeber durch Gefahrstoffe nicht ausgeschlossen werden, so haben alle betroffenen Arbeitgeber bei der Durchführung ihrer Gefährdungsbeurteilungen nach § 6 zusammenzuwirken und die Schutzmaßnahmen abzustimmen (…)“ [siehe auch 4 und 7].

Vor Beginn von ASI-Arbeiten muss der Arbeitgeber nach § 6 GefStoffV für die Gefährdungsbeurteilung Informationen (insbesondere vom Auftraggeber oder Bauherrn) darüber einholen, ob entsprechend der Nutzungs- oder Baugeschichte des Objekts Gefahrstoffe (in diesem Fall Asbest) vorhanden oder zu erwarten sind. Weiterreichende Informations-, Schutz- und Überwachungspflichten, die sich für den Auftraggeber oder Bauherrn nach anderen Rechtsvorschriften ergeben, bleiben unberührt (§ 15 Abs. 2 GefStoffV).

In der Ausführung eines Bauvorhabens trägt der jeweilige Unternehmer (§ 55 MBO) und, sofern bestellt, der Bauleiter (§ 56 MBO) eine besondere Verantwortung. Sowohl Unternehmer als auch Bauleiter haben auf die ordnungsgemäße Einrichtung und das sichere Betreiben der Baustelle sowie die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zu achten und darauf hinzuwirken. Der auftraggebende Laie wird als Koordinator an dieser Stelle mangels eigener Fachkenntnisse als grundsätzlich überfordert anzusehen sein, was ihn jedoch nicht von der damit zusammenhängenden Pflicht zur Koordination und Bauüberwachung befreit (§ 53 MBO).

Ungeachtet der Anzahl der Baubeteiligten und der jeweiligen Verantwortungen kann eine sichere und stringente Planung nur unter Bezugnahme auf entsprechende Befundungen erfolgen. Ist eine solche z. B. in Form eines Schadstoffkatasters nicht existent, sind entsprechende Erkundungen zu empfehlen. Die DIN 18299 VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) – Allgemeine Regelungen für Bauarbeiten jeder Art fordert dies im Abschnitt 0 für das Aufstellen einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung ohnehin von Auftraggeberseite ein. Anzugeben sind Schadstoffbelastungen, gegebenenfalls aufgearbeitet in Form von Fachgutachten oder dergleichen.

 

Auftragsplanung des Auftragnehmers anhand eines Beispiels

Zum besseren Verständnis soll im Folgenden ein fiktives Beispiel herangezogen werden. Angenommen, ein Handwerksbetrieb wurde um ein Angebot ersucht, hat dieses erstellt und erhält den Auftrag. Zwischenzeitlich hat sich jedoch herausgestellt, dass bei d essen Tätigkeit Asbest in d er Bausubstanz zu berücksichtigen ist.

Soweit die Leistungsbeschreibung auf der Planung des Handwerkers beruht, sind Änderungen und Ergänzungen, die aufgrund der Schadstoffthematik notwendig werden, auf dessen eigene Kosten vorzunehmen. Der Werkerfolg ist geschuldet, und es liegt im Risiko des planenden Auftragnehmers, den Erfolg zu erreichen. Weitere Forderungen (Nachträge) sind ausgeschlossen. Das Ziel bleibt trotz Asbest das gleiche, es ändert sich jedoch der Weg, um dieses zu erreichen. Es gilt der Grundsatz, dass Verträge als sinnvolles Ganzes auszulegen sind und dass Leistungen, die zur vereinbarten Ausführungsart gehören, vom Auftragnehmer im Rahmen der vereinbarten Vergütung zu erbringen sind. Der Generalverdacht Asbest unterstreicht, dass die Berücksichtigung allein schon aus Arbeitsschutzgründen in die Planung und Kalkulation einfließt, folglich mit der Vergütung abgedeckt ist.

Nichts anderes gilt, wenn ein Planer in den Ausschreibungsunterlagen auf das Alter des Gebäudes oder mögliche Gefahrstoffe hinweist: „Der Auftragnehmer muss sich daher grundsätzlich daran festhalten lassen, dass es seine Sache ist, bereits bei der Preisermittlung für die Angebotsabgabe die für die Bauleistung geforderte Vergütung nicht nur nach den Angaben im Leistungsverzeichnis zu berechnen, sondern auch die nach den ergänzenden Vertragsunterlagen zusätzlich erforderlichen sonstigen Leistungen zu berücksichtigen“ [5].

Ein zusätzlicher Aufwand durch Vorliegen von Asbest relativiert sich selbst bei der Aufstellung von Leistungsverzeichnissen nach VOB. Es kann hierbei sogar offen bleiben, ob der erhöhte Aufwand aufgrund eines vorliegenden Gefahrstoffs als eigenständige Besondere Leistung erfasst wurde und bei der Bepreisung ein Vergütungswert hätte eingetragen werden können. Denn werden Besondere Leistungen nach VOB/C in der Baubeschreibung oder an anderer Stelle des Vertrags als Leistung aufgeführt, sind diese nach § 2 Abs. 1 VOB/B von den vertraglichen Einheitspreisen abgegolten und daher einzukalkulieren [6].

Zusammengefasst liegt es grundsätzlich im unternehmerischen Risiko des Auftragnehmers, bei der Preisermittlung die gesamte Vertragsgrundlage zu berücksichtigen oder sein Risiko zu bewerten. Ist ein Planer beteiligt, entscheidet dieser, ob er das Risiko Asbest zuvor konkret ermittelt und den Bietern die Erkenntnisse mitteilt oder nur auf das Risiko hinweist. In beiden Fällen müssen Unternehmer jedoch entsprechende Maßnahmen bei der Kalkulation berücksichtigen. Dies dürfte auch den Anforderungen nach § 7 VOB/A genügen. Da die Berücksichtigung von Asbest in jedem Fall zur Einhaltung der TRGS 519 führt, ist (auch wenn die Bieter nicht genau wissen, ob Schadstoffe vorliegen) kein ungewöhnliches Wagnis zu unterstellen. Dies würde dazu führen, dass alle Bieter das Risiko bepreisen und die Angebotspreise zwangsläufig steigen. Kommen an einem Bauvorhaben mehrere Gewerke zum Einsatz, summieren sich die Kosten, was nicht im Interesse des Bauherrn sein kann. Nach VDI 6202 Blatt 3 Schadstoffbelastete bauliche und technischen Anlagen – Asbest – Erkundung und Bewertung sollten jedoch die Motivationen und Entscheidungen des Auftraggebers im Mittelpunkt stehen.

Planer sind gegenüber Bauherren vertraglich verpflichtet, eine Kostenberatung, -ermittlung und -kontrolle durchzuführen. In Bezug auf Schadstoffe ist im Rahmen der Grundlagenermittlung der Leistungsphase 1 nach HOAI insbesondere eine Beratung zum Leistungs- und Untersuchungsbedarf anzuführen. Eine ungeregelte oder unklare Leistungsabgrenzung wäre spätestens hinsichtlich der abfallrechtlichen Bestimmungen konfliktbehaftet. So regelt Abschnitt 2.1 der ATV DIN 18459 Abbruch- und Rückbauarbeiten, dass bei Abbruch- und Rückbauarbeiten anfallende Stoffe und Bauteile nicht in das Eigentum des Auftragnehmers übergehen, folglich hierfür der Bauherr verantwortlich bleibt.

 

Exposition-Risiko-Matrix

In der 2019 geänderten TRGS 519 sind in Anlage 9 für PSF Hilfestellungen zur Gefährdungsbeurteilung sowie zur Festlegung von Schutzmaßnahmen in Form einer Exposition-Risiko-Matrix enthalten. Gleichzeitig wurden Festlegungen zu erforderlichen Qualifikationen getroffen. Aus diesen ergibt sich, dass nicht jede Person einfach Proben entnehmen und befunden kann.

Die Tätigkeiten in der Exposition-Risiko-Matrix sind den Risikobereichen der TRGS 910 [2] zugeordnet, welche wie folgt definiert sind:

  • keine Tätigkeit mit Asbest
  • niedriges Risiko
  • mittleres Risiko
  • hohes Risiko

Nicht umfasst sind in der Matrix weitreichende bzw. großflächige Tätigkeiten. Das heißt, mittels der Matrix können überwiegend Maßnahmen beurteilt werden, die nur als gering in die Substanz eingreifend zu erachten sind, wie z. B. Trocknungs- oder Befundungsöffnungen, das Setzen von Bohrlöchern oder kleine Stemmarbeiten.

 

Qualifikation des Personals

Die TRGS regelt grundsätzlich: „ASI-Arbeiten mit Asbest dürfen nur durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass die personelle und sicherheitstechnische Ausstattung des Unternehmens für diese Arbeiten geeignet ist. (…) Der Arbeitgeber, der ASI-Arbeiten mit Asbest durchführt oder asbesthaltige Abfälle beseitigt, hat eine sachkundige verantwortliche Person festzulegen“ [1].

Neu ist in der TRGS 519, Fassung 2019 jedoch der Nachweis der Qualifikation einer aufsichtführenden Person nach Modul Q 1E der „Qualifikation für aufsichtführende Personen bei Anwendung anerkannter emissionsarmer Verfahren nach TRGS 519“. Diese Qualifikation gilt ausschließlich für Tätigkeiten mit anerkannten emissionsarmen Verfahren. Voraussetzung für den Erwerb der Qualifikation nach Modul Q 1E ist der Nachweis an der Teilnahme des Moduls „Grundkenntnisse Asbest“. Verbände und Fortbildungsstätten werden dieses Modul zukünftig anbieten.

Soweit keine emissionsarmen Verfahren verfügbar sind, erweist sich die Qualifikation Q1E jedoch als nicht zielführend. Für Tätigkeiten, die einem niedrigen Risiko zugeordnet, aber nicht als emissionsarme Verfahren anerkannt sind, bedarf es mindestens des Nachweises der Sachkunde nach Anlage 4 der TRGS 519.

 

Zusammenfassung

Bei Gebäuden, die vor 1995 errichtet wurden, gibt es nur zwei ordnungsgemäße Vorgehensweisen. Das sind entweder

  1. Arbeiten nach TRGS 519, das heißt als wäre Asbest vorhanden,oder
  2. die Erkundung und Befundung inklusive der erforderlichen Dokumentation (nach dem Vier-Augen-Prinzip durch sachkundige Dritte wie z. B. Sachverständige).

Literatur

[1] TRGS 519 Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten, Ausgabe Januar 2014, zuletzt geändert und ergänzt am 17.10.2019

[2] TRGS 910 Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen, Ausgabe Februar 2014, zuletzt geändert und ergänzt 2019

[3] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Asbest. Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, Fassung Mai 2017, abgerufen unter: www.baua.de/dok/674016

[4] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg): Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden, 1. Auflage, 2020

[5] Althaus, S. (Hrsg.): Nachträge am Bau – Nachtragsvergütung, Entschädigung und Schadensersatz bei Bauverträgen nach BGB und VOB/B. Verlag C.H.BECK, München 2020, S. 191, Rdnr. 10

[6] OLG Braunschweig, 11.09.14, 8 U 154/13, vgl. auch BGH, 27.07.2006, VII ZR 202/04

Zur Person

WiMed.me.me./Master Professional Hans-Peter Füg ist ö.b.u.v. Sachverständiger für das Maler- und Lackierer-Handwerk, ergänzt mit Schwerpunkteinträgen für WDVS und Schimmelpilze. Für Bau- und Versicherungsschäden, Gebäude-, Sach- und Haftpflichtschäden sowie Gebäudeschadstoffe und Innenraumhygiene ist er gemäß DIN EN ISO/IEC 17024 personenzertifiziert. Er ist ferner Zertifizierter Wirtschaftsmediator (IHK) sowie Zertifizierter Mediator. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Sachverständigenwesen und Streitbeilegung. Als Referent, Sachverständiger und Streitbeileger ist er europaweit tätig.

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