Zur Beurteilung

Sicherheit ist messbar

Bauwerksmonitoring ist enorm vielseitig, hilft Planen und Sparen

Text: Sven Homburg | Foto (Header): © Michael Fritzen – stock.adobe.com

Das Bauwerksmonitoring ist die digitale Überwachung von Bauwerken, um über deren Zustand 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche lückenlos informiert zu sein. Das Monitoring gehört aktuell zu den boomenden Zweigen der Bausicherheitsbranche. Monitoring-Profi Sven Homburg von der LGA Bautechnik stellt die vielfältigen Einsatzgebiete vor.

Auszug aus:

der bauschaden
Ausgabe Dezember 2021 / Januar 2022
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Monitoring umfasst alle Arten von systematischen Erfassungen (Protokollierungen), Messungen oder Beobachtungen eines Vorgangs oder Prozesses, wozu technische Hilfsmittel oder andere Beobachtungssysteme eingesetzt werden. Ziel ist, festzustellen, ob der beobachtete Ablauf oder Prozess wie gewünscht verläuft und/oder bestimmte Schwellwerte eingehalten sind. Falls nicht, kann auf Basis der gewonnenen Daten steuernd eingegriffen werden.

Dies gilt auch für das Monitoring von Bauwerken. Unter Bauwerksmonitoring versteht man die fortlaufende, messtechnische, sensorgestützte Überwachung und ingenieurmäßige Bewertung des Zustands von Bauwerken. Es geht, kurz gesagt, um die Messung und Einschätzung der Folgen des stets nagenden „Zahns der Zeit“ auf ein Bauwerk und seine Stoffe: Verformungen, Schnee, Regen, Temperatur, Ozon, Wind – alles wirkt kontinuierlich auf Bauten ein.

Während in manchen Bereichen die Digitalisierung der Baubranche noch in den Anfängen steckt, ist aus der elektronischen Überwachung von Bauwerken ein Geschäft für Spezialisten geworden. Dafür gibt es viele Gründe, einer ist sicherlich die zunehmende Überalterung der Brücken in Deutschland. Doch davon später.

Kontrollierte Nutzung und längere Nutzungsdauer

Ziele eines Bauwerksmonitorings sind u. a. die fortgesetzte kontrollierte Bauwerksnutzung durch ein verlässliches Frühwarnsystem vor kritischen Zuständen und der permanente Erkenntnisgewinn über Einwirkungs- und Beanspruchungsgrößen (also den Ist-Bauwerkszustand). Daraus können gezielte Maßnahmen zum Weiterbetrieb des Bauwerks abgeleitet werden. Aus all dem ergibt sich nicht selten eine Verlängerung der (Rest-)Nutzungsdauer.

Während herkömmliche Prüfungen den Zustand eines Bauwerks zu einem Zeitpunkt x ermitteln, kann das digitale Monitoring nicht nur Zeiträume abbilden, sondern jederzeit Augenblicksaufnahmen liefern. Unterschiedliche Faktoren, die ein Bauwerk und seine Qualität beeinflussen, können in ihrer Wirkung exakt beschrieben werden: Schnee und Eis, Wind und Sturm, Hitze und Trockenheit, Erschütterungen und Druck – erst die Messung, dann die Analyse liefern neue Parameter für Entscheidungen und Planung und helfen bei der Suche nach der (kosten-)günstigsten Lösung.

 

Überwachungstechnik für ein Nordsee-Leuchtfeuer

Ein Nordsee-Leuchtfeuer ist ein besonders einleuchtendes Praxisbeispiel für die Anwendung der Überwachungstechnik. Welch ein Bauwerk steht wohl exponierter, ist nachvollziehbar stärker Wind, Wetter, Salz, Hitze und Kälte ausgesetzt als ein Leuchtturm an der Nordseeküste.

Die Ortschaft St. Margarethen in Schleswig-Holstein liegt nahe der Elbmündung in die Nordsee, knapp 80 km nordöstlich von Hamburg. Hier weisen Leuchttürme den Schiffen den Weg ins Landesinnere. Scheelenkuhlen heißt der Standort eines sogenannten Doppelleuchtfeuers. Zur Überprüfung des in die Jahre gekommenen Gebäudes war – zunächst wie immer – ein kontinuierliches Überwachen des Systems mittels Sensortechnik gefragt. Allerdings wird die Technik in diesem Fall an einem Gebäude angewendet, das an exponierter Stelle sehr dynamischen Belastungen ausgesetzt ist. Die salzhaltigen Windkräfte an der See wechseln, können sehr stark werden, der Turm ist eigentlich immer am Schwingen. Auch häufige Blitzeinschläge wirken auf die Stabilität des Bauwerks ein. Hinzu kommt, dass es der erste Turm in dieser exponierten Lage war, der mit GFK-Umgang (glasfaserverstärktem Kunststoff) erstellt wurde. Weil niemand wirklich absehen konnte, wie sich diese Bedingungen auf das Bauwerk auswirkten, wurde seit 1976 „mit Ingenieursachverstand“ gemessen und geprüft. Erst im Jahr 2000 ging man zu elektronischer Überwachung über, denn periodische Messungen konnten die tatsächlich maximal auftretenden Beanspruchungen durch Wind und Temperatur nicht verlässlich abbilden. Es wurde ein elektronisches Monitoringsystem angebracht, das später um weitere Sensoren und Algorithmen ausgebaut wurde. Inzwischen wird der Leuchtturm permanent (24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr) überwacht.

 

Deutschlands Brücken sind völlig überaltert

Ein häufiges Einsatzgebiet für Monitoring sind Brücken und Querungen. Viele dieser Bauwerke wurden vor Jahrzehnten errichtet, die damals für die Lebensdauer errechneten Parameter haben sich jedoch völlig geändert. Allein schon der Online-Handel treibt den Lieferverkehr über Fernstraßenbrücken in die Höhe, die querenden Fahrzeuge werden nicht nur mehr, sondern immer größer und schwerer. Daher spricht der Zustand von Überquerungen eine erschreckende Sprache: „Rund ein Achtel der insgesamt 39.621 Fernstraßenbrücken in Deutschland sind in einem ‚nicht ausreichend‘ oder gar ‚ungenügendem Zustand‘, wie die Auswertung der Bundesanstalt für das Straßenwesen (BASt) aus dem März 2018 zeigt. Konkret sind es 12,4 Prozent mit einer Brückenfläche von 3,8 Millionen Quadratmetern.“ So stand es 2018 in der Zeitschrift Auto Motor Sport.

Hier kommt dem Bauwerksmonitoring eine weitere Aufgabe zu: Wird eine Querung saniert oder erneuert, sind andere Wege durch Umleitungsverkehr mehr belastet – auch diese Beanspruchung muss betrachtet werden. Schließlich kann das elektronische Messen im Rahmen eines Monitorings exakte Daten für Analysten liefern, ob die Instandsetzung eines Bauwerks empfehlenswert oder ein Neubau nötig ist, um die Funktionen zu gewährleisten.

Was hier abstrakt beschrieben ist, veran­schaulicht ein praktisches Beispiel: Deutschlands zweitgrößte Stadt ist mit 1,8 Mio. Einwohnern die Freie Hansestadt Hamburg. Wer vom Süden aus mit dem Auto nach Hamburg hinein will, für den gibt es nur einen Weg – den Neuen Elbtunnel. Durch vier Röhren kommen an Werktagen im Schnitt 120.000 Kraftfahrzeuge in die Stadt. In Stoßzeiten können 15.000 Pkws in der Stunde die Elbe Richtung Hamburger City unterqueren.

Der Autobahnabschnitt am Übergang von der Hochstraße Elbmarsch zum Elbtunnel wird K30 genannt. In einer Bürgerinformation der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation der Stadt Hamburg wird er beschrieben als „aufgeständerter Abschnitt der A 7 als Verbindungs- und Weichenrampe zwischen Hochstraße Elbmarsch (K 20) und Elbtunnel im Bereich des Hafengebiets in Waltershof“, der seit 1974 besteht. Im Jahr 2002 wurde er auf acht Streifen erweitert, insgesamt ist er nur 418 m „kurz“. In einem offiziellen Arbeitspapier der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation ist nun dieser Satz zu lesen, eine Feststellung, die für Monitoring-Experten eine gewisse Routine beinhaltet: „Für die K30 haben Bauwerksuntersuchungen ausgeprägte Schäden am Bauwerk mit dringendem Handlungsbedarf ergeben.“

Das Hamburger Landesamt für Straßen und Brücken beschreibt das geplante Vorhaben so: „Die Vorplanung hat ergeben, dass es am sinnvollsten ist, für die K30 einen Ersatzneubau zu erreichten. Dieser wird nicht als Brücken- bzw. Rampenkonstruktion erfolgen, sondern als so genannter Fangedamm. Das ist ein künstlich aufgeschütteter Damm, der platzsparend durch Stahlbetonwände eingefasst ist. (…) Um die Erreichbarkeit aller Röhren des Elbtunnels während der Bauzeit sicherzustellen und im Bereich der K30 insgesamt sechs Fahrstreifen anzubieten, wird bauzeitlich westlich des Bauwerks ein Hilfsdamm errichtet, der während der Bauzeit Platz für zwei Fahrstreifen bietet. Parallel werden in jeder Bauphase vier Fahrstreifen durch das Baufeld geführt.“

Im Fall der K30 sollten sensible Sensoren jederzeit genaue Kennzahlen über Fahrzeuge und Zustand des Bauwerks ermitteln und zur Verfügung stellen. Denn die Hamburger Verkehrs- und Stadtplaner haben sich entschieden, die achtspurige Zufahrtsstraße zum Elbtunnel gleichzeitig weiter zur Nutzung freizuhalten und parallel den Neubau zu starten. Während also das alte Bauwerk weiter befahren wird, wird gleich daneben abgerissen und neu gebaut. 100 Sensoren wurden im Unterbauch der alten K30 angebracht. Sie messen buchstäblich alles und geben diese Messdaten „24/7“ an die Auftraggeber weiter: thermische und klimatische Bedingungen und Bauwerksverhalten durch Verkehrsbelastung – all diese Daten sind für Berechtigte stets am Handy abrufbar. So wurde ein Frühwarnsystem installiert, das kleinste Schäden sofort meldet und sich selbst kontrolliert. Bis zum Jahr 2022 soll dann die neue, achtspurige Zufahrtsstraße K30 fertiggestellt sein.

Kürzlich erging zudem ein Auftrag für einen Verkehrstunnel im Norden von Deutschland. Ein aus mehreren Röhren bestehender Tunnel besitzt einen Abschnitt, der in einem setzungsgefährdeten Gebiet liegt. Für den ca. 200 m langen Tunnelabschnitt soll ein Monitoring eingesetzt werden, welches dauerhaft mögliche Setzungen überwacht, lautet die neue Aufgabe, die bereits in der Umsetzung ist.

 

Messen fürs Germanische Nationalmuseum

Für den Fachmann mindestens ebenso spannend wie Brücken und Straßen sind die Möglichkeiten der digitalen Überwachung bei der Renovierung von historischen Bauten. Die Regeln für das sensorische Messen sind bei einem historischen Bauwerk erst einmal gleich wie bei modernen Bauten. Der Unterschied liegt im Detail: z. B. die Verwendung der Baumaterialien. Spannbeton gab es in früheren Jahrhunderten nicht. Ebenso sind frühere Umbauten oder Sanierungsarbeiten zu beachten. Nicht selten hat ein späterer Baumeister Stützwände entfernt, ohne genau zu wissen, was er da tat. Neigungen, die im Lauf der vielen Jahre entstanden oder Risse haben oft eine Bedeutung, die zu betrachten und untersuchen ist.

Zu den historischen Gebäuden und Anlagen bzw. Arbeiten daran, die von einem Monitoring begleitet wurden, gehören die Nürnberger Stadtmaueranlage sowie Grabungsarbeiten für das Tiefdepot im Hof des historischen Germanischen Nationalmuseums. Die Kirche St. Maria im Kapitol (Köln) unterlag während der nahen Bauarbeiten einer U-Bahn-Station einem messtechnischen Dauermonitoring, ebenso der „Hohe Dom zu Augsburg“, bei dem objektive Daten für die Instandsetzungs- und Erhaltungskonzepte ermittelt werden sollten.

Die messtechnische Aufgabe beim Bau des Tiefdepots im Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums (GNM) in Nürnberg beschrieb GNM-Pressesprecherin Dr. Sonja Mißfeldt so: „Damals entstand im sogenannten Großen Klosterhof, dem Innenhof des GNM, ein neues Depot. Fünf Etagen reicht es in die Tiefe. Und um die zur Verfügung stehende Fläche optimal auszunutzen, reicht es nah an bereits bestehende Gebäude heran. Während der Erstellung der Bohrpfahlwand kam es immer wieder zu leichten Erschütterungen, weshalb an allen die Baustelle umgebenden Gebäuden von der LGA Messpunkte angebracht wurden. Insgesamt waren es 16 Stück, die 2019, als die Bohrungen abgeschlossen waren, wieder entfernt wurden. Bei den Messpunkten handelte es sich um ein Schlauchwaagensystem, das nicht die Erschütterung misst, sondern anschlägt, wenn sich ein Gebäude senkt. Die Messung ist sehr präzise, bis auf einen halben Millimeter genau. Fazit: Während der Bauphase kam es zu minimalen Absenkungen. Sie waren aber so gering, dass sie zu keinen Schäden geführt haben.“

 

Hallen und Ställe als neues Einsatzgebiet

TÜV-Prüfungen haben ergeben, dass 60 % der etwa 40.000 Hallen in Deutschland Mängel aufweisen. Der Zahn der Zeit, Verformungen, Schnee, Regen, Temperatur, Ozon, Wind und Sturm – alles wirkt kontinuierlich auf die Gebäude ein. In Ställen kommen noch Ausdünstungen der Tiere und ihrer Exkremente hinzu. Oft wurden Dachkonstruktionen von Hallen nachträglich verändert, z. B. durch das Anbringen von Solaranlagen.

Was aber bedeutet das für den Zustand von alten, bereits lange genutzten Tragwerken? Die Antwort kann ein Bauwerksmonitoring liefern. Der Zeitpunkt für etwaige bauliche Maßnahmen kann anhand der Messdaten exakt vorbestimmt und geplant werden. Schon mit wenigen Messstellen und geringem finanziellen Einsatz können Ergebnisse für gezielte und mit der Tragwerksplanung abgeglichene Maßnahmen gewonnen werden.

Zur Person

Sven Homburg

ist Abteilungsleiter der Bauwerksdiagnose bei der LGA Bautechnik GmbH. Der Bauingenieur (2001 Master am Asian Institute of Technology, Bangkok, Thailand) kam 2002 zur LGA Bautechnik. Sein Spezialgebiet sind zerstörungsfreie Prüfungen. Seit 2011 ist er Abteilungsleiter bei der LGA und baut das Geschäftsfeld Baumonitoring kontinuierlich aus. Er engagiert sich als aktives Mitglied und 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Bauwerksmonitoring, aktives Mitglied im Verein Deutscher Ingenieure sowie als Vorstandsvorsitzender der Freiwilligen Feuerwehr Sperberslohe.

Kontakt: www.lga.de

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